Gewobag, Mieterrat und Neues Kreuzberger Zentrum – ein Beitrag im Tagesspiegel

Ein Riegel gegen die Verdrängung

2017 übernahm die landeseigene Gewobag das Kreuzberger Zentrum am Kottbusser Tor. Vor die Tür wird hier niemand mehr gesetzt – der Mieterrat hat dennoch genug zu tun

Von Ralf Schönball

Das Kottbusser Tor an einem Dienstagmittag im Januar. Das Leben nimmt hier in Kreuzberg langsam Fahrt auf. In der Passage neben Rossmann wölbt sich ein Schlafsack über einen tief darin vergrabenen Obdachlosen. „Auch das gehört dazu“, sagt Matthias Coers und der Anwohner erzählt, wie er sich mit seiner vierjährigen Tochter bisweilen den Weg bahnen muss durch einen Pulk von Händlern und Dealern, Touristen und Abenteuerlustigen, Gestrandeten und Passanten. Coers wohnt im Zentrum Kreuzberg, dem riesigen Gebäuderiegel hier am Kottbusser Tor, der früher den Namen Neues Kreuzberger Zentrum trug und aus Gewohnheit von vielen deshalb nur „NKZ“ genannt wird. Der Komplex ist wirklich keine Schönheit – und ist deshalb „ein Bollwerk gegen die Verdrängung“ im Herzen Berlins, wie Coers sagt, der auch Mitglied im Mieterrat ist.

Und ein Bollwerk soll es bleiben. Seit knapp fünf Jahren ist das NKZ nicht mehr im Eigentum eines privaten Fonds, sondern gehört der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag. Die 1974 fertiggestellte, unübersichtliche Anlage erstreckt sich über vier Straßen, umfasst 300 Wohnungen und Dutzende Läden. Die Fluktuation der Mieter ist der Firma zufolge unerheblich, zumal es in der Stadt an Sozialwohnungen mit niedrigen Mieten fehlt, erst recht im Zentrum. Wer wissen will, ob das Land mit seinen Unternehmen ein besserer Hausverwalter ist als gewinnorientierte Firmen, der ist hier an der richtigen Adresse. Weil hier kulturelle und sprachliche Hürden zu nehmen sind, weil geprügelt und gedealt – aber eben auch gefeiert und vor allen Dingen einfach nur gewohnt wird. „Das NKZ ist Kind seiner Zeit, ein stadtbildprägendes Gebäude, das ich bei der Vorstellung unserer Firma und ihrer Bestände ebenso nenne wie den Wasserturm in Prenzlauer Berg oder das Pallasseum in Schöneberg“, sagt Gewobag-Chefin Snezana Michaelis.

Gilt der Kotti den meisten als ein Ort, den man schnell hinter sich lässt, so beeindruckt doch die Wucht, mit der hier Betonpfeiler ausgegossen und Geschosse in den Himmel gestapelt wurden rund um den autogerecht geteerten Kreisel des früheren Stadttores. So schwärmt Matthias Coers über diesen „Hafen“ für viele von denen, die in Berlin aus aller Welt oder aus anderen Kiezen ankommen: von den Arbeitsmigranten in den 1970er Jahren bis zu den Drogenkäufern aus Wedding oder Weißensee.

Dass hier einer mit Kind wohnt, das mache sogar Dealer fassungslos, sagt Coers. Aber die sechs Mieter und zwei Gewerbetreibenden aus dem selbst gegründeten und demokratisch gewählten Mieterrat behaupten selbstbewusst ihren Platz. Sie haben eine Kooperationsvereinbarung mit der Gewobag abgeschlossen. Haben sich selbst und ihren Nachbarn eine Mieterhöhung von ein paar Euro abgetrotzt, damit ein Hausmeister eingestellt wird. Und sie haben einen eigenen Nachbarschaftsladen neben „Balikoi ismails Fischladen“ bekommen. Seit vier Jahren laufen Beteiligung und Ausschreibung zur Neugestaltung des Spielplatzes im Inneren des Blocks. Profitieren wird Coers’ Tochter von dem neuen Spielplatz wahrscheinlich nicht mehr. Es dauert, bis sich etwas bewegt in Berlin. Und anders als in bürgerlichen Vierteln „können wir den auch nicht einfach offen lassen“, sagt Coers und zeigt auf den hohen grünen Zaun rund um die bis auf die Grasnarbe abgenutzte Brache. Sonst eigneten sich nachts „andere Gruppen“ den Spielplatz an und deren Hinterlassenschaft sei nicht wirklich kinderfreundlich.

Fragt man Coers nach einer Bilanz, seitdem die Gewobag den Block übernommen hat, sagt er: „Positiv.“ Dabei wird der Mieterrat von der Gewobag-Chefin nicht unumwunden begrüßt. Michaelis sieht das Gremium der Anwohner als „Besonderheit“ dieses Quartiers an. Üblicherweise gründen die Landesfirmen selbst Mietervertretungen und dies erfolge „nach Wohnraumversorgungsrecht“. Streng genommen seien die NKZ-Mieter also gar kein Mieterrat. Und doch sind Coers und seine Mitstreiter Kommunikatoren bei Problemen. Zu klären gibt es genug. Zumal seit Monaten „der Presslufthammer Tag für Tag donnert“, sagt er.

„Wir stecken mitten in der Sanierung“, sagt Michaelis. Bauarbeiter haben asbesthaltige Fassadenplatten demontiert, den Beton der Laubengänge saniert und in den Kellern Versorgungsleitungen für Heizung und Sanitär erneuert. Die Wohnungen erhielten neue Fenster. Laubengänge und Treppenhausfassaden sind nun gedämmt, schadstoffbelastete Bodenbeläge in den Treppenhäusern ausgebaut und entsorgt. Zurzeit kommen neue Beläge auf die Böden und die Maler machen letzte Arbeiten. 15 Millionen Euro investiert die landeseigene Gesellschaft in den 2017 erworbenen Block. Der erste Bauabschnitt mit knapp 300 Wohnungen ist fast fertiggestellt. Zuvor besaß ein Fonds die Immobilie. Das kommunale Vorkaufsrecht zog der Bezirk nicht. Die Gewobag bot am meisten für die Sozialwohnungen, 56,5 Millionen Euro. Die Wohnungen selbst werden nicht angefasst. „Dazu müssten wir die Mieter umsetzen. Das ist unrealistisch“, sagt Michaelis. Am Markt gibt es nicht mal eben 300 Umsetzwohnungen für die Haushalte, die am Kottbusser Tor leben.

Deshalb wird der Baustoff mit den gesundheitsgefährdenden Fasern erst dann aus den Wohnungen entfernt, wenn ein Mieter auszieht. Oder wenn einer Risse im Boden oder in der Wand feststellt, die den Austritt von Asbest möglich machen könnten. Solange dies nicht der Fall ist, besteht laut Experten keine Gefahr. Lärm und Schmutz bringen die Arbeiten an der Gebäudehülle trotzdem mit sich. Und darüber werde sich sicher so mancher Mieter ärgern, sagt Michaelis. Von einer allgemeinen Unzufriedenheit mit der Gewobag habe sie nichts gehört.

Beim Mieterverein heißt es über das NKZ unter landeseigener Verwaltung, es gebe Klagen, wonach die Landesfirma mit der früheren Hausverwaltung immer noch zusammenarbeite und es deshalb „weiterhin Streit zur Mängelbeseitigung (Schimmelbildung) und über Betriebskosten“ gebe. Bei solchen Auseinandersetzungen antworte mal die Verwaltung und mal die Gewobag selbst – ohne klar verteilte Zuständigkeiten. Gewobag-Chefin Michaelis sagt dazu: „Wir verwalten das Haus selber.“ Laut Mieterverein hat auch die Gewobag selbst bei der Abrechnung der Betriebskosten „Fehler eingestanden und Kosten reduziert“. Gestritten werde noch über eine Kürzung der Nebenkosten um 15 Prozent. Das sei mietrechtlich zulässig, weil in der Anlage „nicht verbrauchsabhängig abgerechnet“ werde. „Aktuell liegt uns von einer Mietpartei über den Mieterverein ein Widerspruch gegen die Abrechnung der Wasserkosten vor. Dieser befindet sich in Bearbeitung“, sagt Michaelis.

Was hat sich für die Mieter durch den Wechsel von dem privaten Fonds zum öffentlichen Eigentümer zum Guten gewendet? „Das Positivste von allem ist, dass sich Mieter landeseigener Gesellschaften keine Sorgen vor Verdrängung machen müssen, auch nicht in Kreuzberg“, sagt Michaelis. Zudem beseitige die Sanierung der Anlage die möglichen gesundheitlichen Risiken, die von dem Asbest ausgehen. Außerdem verbessere sich ferner das „optische Erscheinungsbild“ des Gebäudes deutlich. Das wird allerdings noch dauern. Denn nach Abschluss des zurzeit laufenden ersten Bauabschnitts folgt ein zweiter: die Sanierung der 90 „Gewerbeeinheiten“ auf der Hochebene zwischen Reichenbergerund Adalbertstraße. „Das wird viele individuelle Abstimmungen mit den Mietern brauchen“, sagt Michaelis. Auch diese Sanierung erfolge bei laufendem Betrieb und es gelte, die Geschäftstätigkeit der Unternehmer möglichst wenig zu beeinträchtigen.

erschienen im Tagesspiegel am 1. Februar 2022
Online-Link: https://plus.tagesspiegel.de/berlin/berliner-bollwerk-das-zentrum-kreuzberg–ein-musterbeispiel-gegen-verdrangung-379069.html

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