37,5 mal mehr als der Spielplatz für die Kotti-Kinder soll die Polizeiwache kosten.
Geplante Polizeiwache am „Kotti“ kann bis zu 3,75 Millionen Euro kosten
Die umstrittene Polizeistation könnte deutlich teurer werden als gedacht. Linksradikale möchten derweil ein politisches Abendessen mit Spranger stören.
Von Julius Betschka und Alexander Fröhlich
Die geplante umstrittene Polizeiwache am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg kann bis zu 3,75 Millionen Euro kosten – und wird damit noch einmal deutlich teurer. Zusätzlich zu den bisher im Haushalt veranschlagten 250.000 Euro seien nun weitere 3,5 Millionen Euro für die Einrichtung der Wache eingeplant, sagten Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) und der SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh am Montag bei einem Besuch des künftigen Standortes.
Im April war zunächst von einer Verzehnfachung der Kosten auf 2,5 Millionen Euro ausgegangen worden. Beim Zeitplan gibt es Verzögerungen. Spranger wollte die Wache bis Jahresende eröffnen. Nun soll im Januar 2023 im 1. Stock des Hochhauses über der darunter liegenden Adalbertstraße die Arbeit aufnehmen.
Nach Angaben der Polizei soll die Wache mit drei Polizisten pro Schicht rund um die Uhr besetzt sein. Spranger allerdings betonte, dass die Gespräch über die Anzahl der Mitarbeiter momentan noch liefen. Laut Polizei soll die Wache vor allem ein zusätzlicher Anlaufpunkt für all jene sein, die sich an die Polizei wenden wollen. Grundsätzlich gebe es schon eine hohe Polizeipräsenz in der Gegend.
Eine Mieter-Vereinigung aus dem Hochhaus lehnte den Einzug der Polizei in das Gebäude ab. Nun tun sich auch Unternehmer und Gewerbetreibende vor Ort zusammen: Sie befürworten zwar eine Kotti-Wache – aber nicht an dem von Spranger favorisierten Standort in dem Gebäuderiegel mitten zwischen Wohnungen.
Marie Schubenz vom Mieterrat des ehemaligen NKZ sagte: „Wir wollen keine Polizei in unserem Haus, wir wollen keine Wache über den Köpfen der Menschen.“ Die Anwohner fühlten sich übergangen, sagte Schubenz. „Wir brauchen keine Riesenwache, sondern eine gute Zusammenarbeit mit der Polizei.“ Mehr Überwachung allein könnte die Probleme am Kotti nicht lösen. Sie appellierte an Spranger: „Es ist noch nicht zu spät!“
Kritik kam auch von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Mit nur drei Kollegen wird keiner rausgehen, wenn zehn Meter weiter gedealt wird“, sagte Benjamin Jendro, Sprecher GdP. „Eine Kotti-Wache mit nur drei Kollegen ist ein Showobjekt. Mit 3,7 Millionen Euro könnte die Polizei Berlin sinnvollere Sachen anschaffen, um die Kriminalität effektiv zu bekämpfen, etwa mobile Endgeräte für alle Kollegen, mobile Fast-ID-Technik zur Identitätsfeststellung und einen Speicheldrogentest.“
Spranger verteidigte ihr Prestigeprojekt, das auch polizeiintern für Unmut sorgt. Trotz intensiver Bemühungen und Suche habe sich kein anderer Ort finden lassen. Mit den Anwohnern werde seit Jahren diskutiert. „Wir haben schon sieben Jahre verloren“, sagte sie. In dieser Zeit sei die Kriminalität weiter angestiegen. Das Kottbusser Tor mit seinen vielen Kneipen und Imbissen gilt auch als Ort mit Straßenkriminalität, Drogenhandel und einer teilweise polizeifeindlichen Szene.
Saleh verteidigt hohe Kosten des Projektes
Allerdings meldete sich vor Ort auch ein Anwohner, der dringend um Hilfe und mehr Polizei bat. Er wohne seit sechs Jahren direkt am Kottbusser Tor und traue sich abends kaum aus seiner Wohnung. Es sei schon mehrfach bei ihm eingebrochen wurden, er habe Angst vor Drogensüchtigen. „Lassen Sie sich nicht beirren“, sagte er in Richtung der Innensenatorin.
Die 200 Quadratmeter großen Räume werden derzeit von Altlasten befreit, ab Juni soll der Ausbau für die Polizei beginnen. Teuer werden laut der Berliner Immobiliengesellschaft (BIM) vor allem Grundsanierung, Polizeitechnik und das Sicherheitsglas für die Fenster. Außerdem gebe es derzeit eine an sich schwierige Lage auf dem Baumarkt. „Sicherheit darf uns was kosten, Sicherheit muss uns was kosten“, sagte Saleh. Die 3,75 Millionen Euro sollen einen Puffer für die Finanzierung enthalten.
Weitere Proteste gegen Spranger geplant
Spranger muss sich derweil weiter mit Protesten gegen die geplante Polizeiwache auseinandersetzen. Unter dem Titel „Sprangers Show nicht ungestört lassen“ will eine linksradikale Initiative am Dienstagabend ein „Politisches Dinner“ der Berliner Wirtschaftsgespräche mit Spranger stören.
Die Veranstaltung in einem Hotel zur Ausrichtung der Innenpolitik zeige, dass es bei den Planungen zur Polizeiwache nicht um Interessen und Bedürfnisse der Anwohner gehe, hieß in der Ankündigung. Indirekt wird zu Eierwürfen wie kürzlich auf die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) aufgerufen.
Anfang letzter Woche wurde daraufhin ihr Wahlkreisbüro im Stadtteil Biesdorf in Marzahn vermutlich von Linksextremisten beschädigt und beschmiert. Auf die Scheibe wurde in großen Buchstaben die Parole „Keine Kottiwache“ geschrieben. Spranger erklärte am Montag, sie lasse sich von solchen Angriffen nicht einschüchtern. „Dass mein Bürgerbüro angegriffen wird, schreckt mich nicht ab. Es tut mir nur leid, für die Mitarbeiter dort.“
Das Kottbusser Tor gilt als Ort mit viel Kriminalität, Kneipen, Drogenhandel und einer teilweise polizeifeindlichen Szene. Geplant ist die neue Wache im 1. Stock eines Hochhauses über der darunter liegenden Straße. Wegen der hohen Zahl der Straftaten ist das Kottbusser Tor als sogenannter kriminalitätsbelasteter Ort eingestuft. Dort darf die Polizei auch ohne konkreten Verdacht Passanten kontrollieren.
SPD-Fraktionschef Raed Saleh, der das zusätzliche Geld für Spranger in den Haushaltsberatungen organisiert hat, nutzte den Termin am Montag, um in Anwesenheit der Senatorin einen weiteren politischen Wunsch zu platzieren. Er wolle sich für eine weitere Wache im Einkaufszentrum an der Heerstraße-Nord in Spandau stark machen. Dort gibt es seit Monaten eine Brandserie, das Viertel gilt als sozialer Brennpunkt. (mit dpa)
erschienen im Tagesspiegel am 23. Mai 2022
Online-Link: https://www.tagesspiegel.de/berlin/protest-gegen-dinner-mit-berlins-innensenatorin-geplante-polizeiwache-am-kotti-kann-bis-zu-3-75-millionen-euro-kosten/28367208.html