„Die Berliner Mischung ist zurzeit gefährdet“
Für Baustadtrat Florian Schmidt ist das Neue Kreuzberger Zentrum am Kottbusser Tor ein Präzedenzfall für den Kampf um die soziale Stadt. „Wir gehen durch alle Instanzen“, kündigt er im Interview an.
Das Neue Kreuzberger Zentrum ist verkauft und Aktivisten sagen, außer heiße Luft tut der Bezirk nichts zur Rettung des billigen Wohnraums. Wie ist die Lage?
Wir haben keine Kenntnis, dass der Verkauf vollzogen ist. Wenn es so wäre, läge uns ein Vertrag vor. Ich will das Vorkaufsrecht ausüben. Zuvor schreibt das Gesetz eine Prüfung vor. Die läuft. Nach aktuellem Erkenntnisstand steht der Ausübung des Vorkaufsrechts nichts im Wege.
Warum ist das NKZ so wichtig?
Wegen der überwiegend niedrigen Mieten. Die Bewohner sind nicht sehr zahlungskräftig und würden wohl aus dem Bezirk verdrängt. Sie gehören aber zu dem Milieu, das wir schützen wollen.
Wieso sind Investoren heiß auf das Haus?
Weil die soziale Bindung in spätestens zwölf Jahren endet, wenn die subventionierten Förderdarlehen des Landes auslaufen. In der Zwischenzeit können die Eigentümer die Mieter rauskaufen, und wer bleibt, dem drohen starke Mieterhöhungen, die wir über den Milieuschutz nicht verhindern können.
Warum schließt der Bezirk nicht mit dem Eigentümer soziale Vereinbarungen?
Machen wir, falls dieser eine solche Abwendungsvereinbarung des Vorkaufs unterschreibt. Er müsste sich darin verpflichten, keinen neuen Aufzug, keine neuen Balkone anzubauen und keine Wohnungen abzureißen oder in Eigentum umzuwandeln. Das lassen wir uns ins Grundbuch eintragen, damit das Haus nicht weiterverkauft wird und wir wieder von vorne verhandeln müssen. Allerdings habe ich aufgrund der Befristung auf zwölf Jahre Zweifel, ob eine Abwendungsvereinbarung überhaupt effektiv die Mieterschaft schützen kann. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass wir sogar eine angebotene Abwendungsvereinbarung nicht akzeptieren und ein langjähriger Gang vor die Gerichte folgt.
Nicht gerade investorenfreundlich…
Wir enttäuschen nur Erwartungen von Leuten, die Profit machen wollen mit Wohnraum. Wir werden mit aller Kraft versuchen, das NKZ dem spekulativen Markt zu entreißen. Der Kapitalmarkt läuft zurzeit so heiß, dass neulich ein anderes Haus im Bezirk weiterverkauft wurde, noch während wir über Vorkauf oder Abwendungsvereinbarung mit dem Besitzer verhandelten. Und dieser hat innerhalb von Wochen einen Gewinn von einem Drittel des Kaufpreises gemacht.
Florian Schmidt, Jahrgang 1975, ist für die Grünen Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg. Der Stadtsoziologe war Gründer der Initiative „Stadt neu denken“. Im NKZ-Deal sieht er ein Fanal im Kampf um die Erhaltung der sozialen Mischung am Kotti.
Berlin ist eben eine begehrte Stadt. Warum sollte die Kreuzberger Mischung nicht ein bisschen aufpoliert werden?
Das geschieht sowieso, zurzeit ist aber das Kreuzberger Milieu gefährdet, die Berliner Mischung, die Menschen in ihrem Quartier. Das geschieht nicht, weil einzelne herziehen, sondern weil die Gewinn-Erwartungen des zuströmenden Kapitals nur noch den Zuzug einer bestimmten Bevölkerungsschicht zulassen. Deshalb erleben wir, dass sich Menschen organisieren, ihre Milieus verteidigen und sogar bei der Rettung alternativer Bäckereien, Bücherläden oder antifaschistischer Einrichtungen Erfolge erzielen.
Ex-Staatssekretär Holm brachte Enteignungen im Kampf gegen die Gentrifizierung ins Spiel. Ein Instrument ihrer Wahl?
Vorkauf ist keine Enteignung, es greift nur in die Erwartung eines Käufers ein. Wenn man zum Angebotspreis das Vorkaufsrecht ausübt, dann nimmt man auch dem Verkäufer nichts weg. Das Vorkaufsrecht ist im Baugesetzbuch verankert und dürfte verfassungskonform sein. Jedenfalls ist mir kein Urteil bekannt das dieses Instrument grundsätzlich in Frage stellt.
Ihre unbeugsame Art im Umgang mit Immobiliendeals dürfte aber Klagen zur Folge haben. Sind Sie darauf vorbereitet?
Ja, wir rechnen damit, zumal wir einen sehr harten Maßstab anlegen in den Verhandlungen über mögliche Abwendungsvereinbarungen mit Immobilienkäufern, damit der Milieuschutz zustande kommt. Ein Investoren-Anwalt wirft uns vor, wir würden Interessenten erpressen mit unseren Forderungen. Das sehen wir anders, und wir gehen notfalls durch alle Instanzen, falls es zum Streit kommt. Es geht hier um den Schutz des Allgemeinwohls. Die Versorgung mit Wohnraum ist gefährdet wegen der Rendite-Erwartungen des Kapitals.
Was macht Sie zuversichtlich, dass Sie den Begehrlichkeiten widerstehen können?
Die Menschen vom Kotti und die vielen Initiativen, die sich aus deren Mitte entwickelt haben und sich für ihren Kiez einsetzen. Das NKZ ist nur ein Block, aber dessen Schicksal hat Signalwirkung für den Umgang mit Sozialwohnungen der Deutschen Wohnen gegenüber. Deshalb kämpfen auch Initiativen wie Kotti & Co oder Bizim-Kiez so engagiert für deren Erhaltung und das schon seit Jahren mit Sitzstreiks, Mails, Gesprächen und Aktionen. Die sind sehr gut vernetzt, bis hinein in die neue Anstalt öffentlichen Rechts für den öffentlichen Wohnungsbestand. Deshalb verzeichnen sie erste Erfolge. Und ich hoffe, dass auch die Immobilieneigentümer erkennen, dass hier um das gesellschaftliche Fundament gekämpft wird, den sozialen Zusammenhalt, und das darf nicht den Finanzinteressen geopfert werden.
Tagesspiegel 13.4.2017:
http://www.tagesspiegel.de/berlin/gruenen-stadtrat-zum-neuen-kreuzberger-zentrum-die-berliner-mischung-ist-zurzeit-gefaehrdet/19666378.html