Bau-Dezernent Florian Schmidt nutzt das städtische Vorkaufsrecht, um den Handel mit Immobilien auszuhebeln. Ein Beispiel aus Kreuzberg.

Es gibt eine Anekdote, die Florian Schmidt gern erzählt. Kürzlich, so der neue grüne Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, sei der Kaufinteressent eines Hauses an der Zossener Straße in das Stadtplanungsamt gebeten worden, um mit ihm über den beabsichtigten Erwerb zu reden. Während der Anhörung hätten seine Mitarbeiter den Mann damit konfrontiert, sie wüssten, dass er bereits einen Vertrag zum Weiterverkauf der Immobilie in der Tasche habe – mit einem Preisaufschlag von 800.000 Euro. „Das ist doch irre! Innerhalb von drei Monaten ein Verkaufsgewinn von 800.000“, sagt Schmidt und schüttelt den Kopf. „Das kann doch nicht richtig sein.“

Schmidt, der im Dezember 2016 das Amt des Baustadtrates in dem Bezirk übernommen hat, in dem fast flächen­deckend mit die höchsten Mietpreise in Berlin verlangt werden, hat ein klares Ziel. „Wir wollen alle rechtlichen Mittel nutzen, um solche Geschäfte zu verhindern“, sagt er. „Wir wollen richtig Sand ins Getriebe streuen, denn das Geldverdienen mit Häusern, in denen Menschen wohnen, funktioniert in unserer Stadt leider viel zu gut.“

Die fast schon kriegerische Ansage scheint auf den ersten Blick gar nicht zu dem milde durch seine Brillengläser blickenden, schlaksigen Mann mit dem rotblonden Wuschelkopf und dem zauseligen Vollbart zu passen. Doch der 41-Jährige hat seinen Worten bereits Taten folgen lassen. Ausgesucht hat er sich dafür ein Objekt, das symbolträchtiger kaum sein könnte: das Neue Kreuzberger Zentrum (NKZ).

Die 70er-Jahre-Bausünde am Kottbusser Tor soll für rund 60 Millionen Euro an eine private Investorengruppe verkauft werden. In dem Gebäudekomplex leben aktuell etwa 1200 Mieter aus 30 Nationen. Noch bis 2024 bestehen nach Auskunft des Stadtrats Sozialbindungen für die knapp 300 Wohnungen, die Mieten liegen zwischen vier und sechs Euro.

Damit das so bleibt, will der Baustadtrat den Verkauf unbedingt verhindern. Helfen soll ihm dabei das sogenannte kommunale Vorkaufsrecht, das laut Baugesetzbuch ausgeübt werden kann, wenn die betreffende Immobilie in einem Milieuschutzgebiet liegt. „Wir wollen als Bezirk nicht selbst Eigentümer werden, sondern den Verkauf zugunsten eines Dritten, in diesem Falle einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft, ausüben“, stellt Schmidt klar. Das ist ihm wichtig zu betonen, denn er hofft dabei auf die – auch finanzielle – Unterstützung des Senats. München beispielsweise zahle den landeseigenen Unternehmen einen Ausgleich von 400 bis 500 Euro je Quadratmeter, um damit die mangelnde Wirtschaftlichkeit zu kompensieren. „So etwas wünsche ich mir für Berlin auch“, sagt Schmidt. Im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag sei ja auch vereinbart, dass Berlin die Zahl der landeseigenen Wohnungen erhöhen will, von derzeit 300.000 auf 400.000, ergänzt er. Das NKZ könne da ein guter Beitrag sein.

45 Prozent der Einwohner leben in Milieuschutzgebieten

Die Chancen stehen zumindest rein rechtlich gesehen nicht schlecht. In Milieuschutzgebieten – in Kreuzberg-Friedrichshain leben bereits 45 Prozent der 281.000 Einwohner in solchen Quartieren – muss der Verkauf eines Hauses genehmigt werden. Sollte die Behörde bei der Prüfung des Vertrages feststellen, dass durch den Verkauf die Verdrängung der Bewohner zu befürchten ist, kann sie das Vorkaufsrecht wahrnehmen. Ist dies nicht der Fall, stellt sie dem Käufer ein sogenanntes Negativattest aus. Erst wenn dieses vorliegt, darf der neue Eigentümer in das Grundbuch eingetragen werden.

„Das Vorkaufsrecht ist unsere große Chance, ein Stück aus diesem irrsinnigen System der Geschäftemacherei auf dem Rücken der Mieter herauszureißen und so die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu erhalten“, sagt Stadtrat Schmidt und seine Augen funkeln nun. Im Falle des NKZ, bei dem die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Gewobag zunächst mitgeboten hatte, sei deshalb der Zugriff des Bezirks gerechtfertigt. Der hohe Kaufpreis lasse befürchten, dass die damit verbundene Renditeerwartung die Mieten mittelfristig massiv steigen lassen werde.

Man werde nun den Verkehrswert der Immobilie ermitteln lassen. Sollte sich dabei herausstellen, dass die 60 Millionen Euro diesen Wert deutlich überschreiten, könne der Bezirk den zu zahlenden Betrag nach dem Verkaufswert bestimmen – „also herabsetzen“, verdeutlicht der Stadtrat.

Der Kampf gegen die Verdrängung der angestammten Mieterschaft habe durchaus auch persönliche Bezüge, gesteht Schmidt. Das Haus, in dem er mit seiner Frau und den beiden drei und vier Jahre alten Kindern in Prenzlauer Berg lebt, steht gerade ebenfalls kurz vor dem Verkauf. „Kein gutes Gefühl“, sagt er, zumal für das Gebäude bereits die Teilungserklärung vorliege, die die Umwandlung der Miet- in Eigentumswohnungen befürchten lässt.

Schmidt hat an der Humboldt-Universität (HU) bei Professor Hartmut Häußermann Stadtsoziologie studiert. Genau wie Andrej Holm, den Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) zum Staatssekretär für Wohnen machte und der nach nur fünf Wochen im Amt zurücktreten musste, weil er falsche Angaben über seine Stasi-Verstrickungen gemacht hatte. Inzwischen sorgt Holm, der noch bis Ende 2018 von seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher HU-Mitarbeiter im Fachbereich Stadt und Regionalsoziologie beurlaubt ist, wieder für Schlagzeilen, weil er öffentlich von „tollen Instrumenten“ der Enteignung spricht.

Ganz so hart möchte es Schmidt nicht formulieren. Doch tatsächlich ist das Instrument, von dem Holm schwärmt, das gleiche, das auch Schmidts Augen zum Leuchten bringt – das kommunale Vorkaufsrecht. „Ich sehe darin das Gegenmittel zu Gentrifizierung“, sagt Schmidt. Das Wort „Enteignung“ meidet er lieber. Es gehe ihm nicht um die Schaffung von Staatseigentum. Man wolle die „gemeinwohlorientierte Immobilienwirtschaft stärken“, schiebt er nach, erneut die Begriffe meidend, die ungute Erinnerungen an eine verstaubte Staatsideologie wecken, außer vielleicht bei den Wählern der Linken.

Einstieg in die Politik durch den Blumengroßmarkt

Florian Schmidt ist kein politischer Hardliner. Der Mann, der nach eigenem Bekunden „ziemlich lange“ studiert hat, sah seine Zukunft zunächst eher als Musiker, der mit Gitarrenkonzerten (Flamenco, Tango) sein Geld verdient. „Per Zufall“ und durch die damalige grüne Abgeordnete Alice Ströver sei er dann vor zehn Jahren auf das Thema Kreuzberger Blumengroßmarkt gestoßen. „Das war mein Einstieg in die Praxis“, sagt Schmidt. Mit der von ihm 2011 gegründeten Initiative „StadtNeudenken“ war er maßgeblich daran beteiligt, dass in der Südlichen Friedrichstadt die Baugrundstücke auf dem ehemaligen Blumengroßmarkt erstmalig nicht nach Höchstpreisgeboten, sondern den besten Konzepten vergeben wurden.

2014 wurde Schmidt Atelierbeauftragter des Senats und übernahm die „Herkulesaufgabe“, wie er sagt, den Masterplan Atelier zu entwickeln. „Das hat mir wohl bei den Grünen den Ruf verschafft, ich sei jemand, der neue Impulse setzt“, sagt er selbstbewusst. Und diesem Ruf will Schmidt nun offenbar schnellstmöglich gerecht werden. Seit Ende 2016, berichtet der Baustadtrat, habe sein Bezirk bereits 48 Verkaufsfälle in Milieuschutzgebieten geprüft. „In drei Fällen haben wir das Vorkaufsrecht wahrgenommen und in vier Fällen sogenannte Abwendungsvereinbarungen mit den Käufern geschlossen“, sagt Schmidt, und der Stolz in seiner Stimme ist unverkennbar. Denn das sei ja überhaupt das Allerbeste an dem Instrument. Die Erwerber könnten den bezirklichen Vorkauf vermeiden, indem sie sich verpflichten, etwa auf bestimmte Formen der energetischen Sanierung für den Zeitraum von 20 Jahren zu verzichten. „So können wir dafür sorgen, dass die Schlupflöcher, die das deutsche Mietrecht und auch die Milieuschutzregelungen bieten, geschlossen werden“, ist Schmidt überzeugt.

Ob das tatsächlich so ist, werden, das weiß auch der Baustadtrat, letztlich Gerichte entscheiden. Denn Hauseigentümer, Anwaltskanzleien und Makler sind bereits aufgeschreckt. In der Branche kursieren Infoschreiben, die die potenzielle Kundschaft auf die neue Situation im Bezirk hinweisen. „Hier sollen Immobilienkäufer bewusst unter Druck gesetzt werden, damit sie auf diesem Weg Verpflichtungen eingehen, zu denen sie vom Bezirk eigentlich nicht gezwungen werden können“, warnt etwa Uwe Bottermann von der Berliner Kanzlei Bottermann Khorrami LLP. Die Kanzlei rate betroffenen Mandaten davon ab, die vom Bezirk vorgelegte Abwendungsvereinbarung zu unterschreiben. „Ein von uns betreuter Käufer eines Hauses an der Graefestraße sollte zum Beispiel unterschreiben, dass er keine Maßnahmen zur Energieeffizienz durchführen wird – und das in einem Objekt mit ausschließlich veralteten Elek­troheizungen“, so Bottermann. Das Vorgehen des Bezirks sei fragwürdig und aus Sicht der Kanzlei rechtlich unzulässig. „Das haben wir dem Bezirk mitgeteilt. Er hat dann letztlich auf das Vorkaufsrecht verzichtet.“

Also nur Theaterdonner? Wohl nicht, denn die Branche sucht bereits neue Schlupflöcher. Makler und Rechtsanwälte berichten von einem regelrechten Andrang von Eigentümern, die schnell noch ihr Mietshaus in Eigentumswohnungen aufteilen lassen wollen, bevor auch in ihrer Straße der Milieuschutz greift. Bei Einzeleigentum, das weiß auch Schmidt, greift das Vorkaufsrecht nicht.

Ertappter Käufer hat vor Gericht Widerspruch eingelegt

Doch davon lässt er sich nicht entmutigen – und bereitet seinerseits Gegenmaßnahmen vor. So ist der Bezirk bereits intensiv dabei, die weitere Ausweisung von Milieuschutzgebieten vorzubereiten und – langfristiger – durch Gesetzesinitiativen des Landes Berlin im Bundesrat Schlupflöcher schließen zu lassen. Vorerst aber wird der eingeschlagene Weg den Stadtrat wohl zum Stammgast im Gericht machen.

Der Käufer, der mit dem Handel des Hauses an der Zossener Straße 800.000 Euro verdienen wollte, hat Widerspruch gegen das vom Bezirk eingeleitete Vorkaufsverfahren eingelegt. „Das geht vor das Verwaltungsgericht“, weiß Schmidt. Doch dem sehe er gelassen entgegen. „Wir wollen die Verdrängung der Mieter verhindern“. Und ein Prozess könne ja bekanntlich ziemlich lange dauern.

Berliner Morgenpost 15.4.2017
http://www.morgenpost.de/bezirke/friedrichshain-kreuzberg/article210263711/Gruener-Baustadtrat-legt-sich-mit-Immobilien-Spekulanten-an.html

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