Der Kotti und seine Wache: Nachbarschaft und Tagesspiegel

Im Gespräch mit der Nachbarschaft und dem Mieterrat versucht sich der Tagesspiegel an einer Bilanz zur Nebenwache der Polizei am Kottbusser Tor.

Ali Yilmaz (Name geändert) ist vor seinen Kreuzberger Dönerladen getreten, es hat ja aufgehört zu regnen; jetzt scheint die Sonne an diesem Tag im August, und Ali deutet zum Eingang des U-Bahnhofs Kottbusser Tor. 30 Meter vielleicht, mehr nicht. „Früher“, sagt Yilmaz und zieht an seiner Zigarette, „da hatte ich Angst, wenn ich abends zur U-Bahn gegangen bin. Jetzt fühle ich mich sicherer, jetzt haben wir auch mehr Kunden. Natürlich bin ich froh, dass es die Wache gibt.“

Zehn Meter weiter hat Mehmet Güngör (Name geändert) Trauben, Nektarinen und Bananen im Sonderangebot. Hinter seinen Obst- und Gemüsekisten erklärt er: „Ich bin froh, dass die Polizeiwache da ist. Viele Obdachlose sind weg, jetzt wird hier auch weniger geklaut.“

Seit 15. Februar, seit genau einem halben Jahr, sitzen mindestens drei Polizisten schwer gesichert rund um die Uhr in der Nebenwache des Abschnitts 53, in der ersten Etage des Wohn- und Gewerbeklotzes Zentrum Kreuzberg. Bei Bedarf sind auch Streifen zu Fuß unterwegs. Eine 3,4 Millionen teure Antwort auf den Kriminalitätsschwerpunkt Kottbusser Tor. Die Wache war hochumstritten bei ihrer Einweihung. Die Einen lehnten Polizei an diesem Ort generell ab, andere wollten zwar Polizeipräsenz, aber im Erdgeschoss, bürgernäher, nicht auf einer Ebene mit ihren Wohnungen und Geschäften.

1050 Strafanzeigen hat die Wache zwischen 15. Februar und 31. Juli aufgenommen. In diesem Zeitraum waren Polizisten 22.800 Stunden in der Wache oder auf Streife am Kottbusser Tor im Einsatz. Im gleichen Zeitraum 2022 waren Beamte an dem kriminalitätsbelasteten Ort 18.300 Stunden präsent.

Und jetzt? Jetzt sagt ein Verkäufer im „Regenbogenbuchladen“ im Zentrum Kreuzberg: „Ich sehe jeden Tag, dass die Polizei ihren Job gut macht. Die Kriminalität ist gesunken.“ Ob die Bedienung in einem modern eingerichteten Café oder der Verkäufer in einem Dönerladen an einem der U-Bahn-Eingänge, sie alle reden ähnlich.

Der einst geschlossene Spielplatz ist wieder geöffnet

Der eingezäunte Spielplatz vor dem Zentrum Kreuzberg steht symbolisch für die Wahrnehmung vieler Anwohner. Er war geschlossen, weil die Spuren der Obdachlosen und Drogensüchtigen zu heftig waren. Jetzt ist er wieder offen, Anwohner öffnen und schließen ihn morgens und abends.

Direkt neben der Wache sitzt Ercan Yasaroglu im Café Kotti. Dem Sozialarbeiter gehört das Café. Im April 2022 war er noch Teil des Zentrum-Kreuzberg-Mieterrats, zuständig für Gewerbetreibende. Damals sah er den Standort der Wache kritisch. „Wir brauchen polizeiliche Präsenz“, sagte er im Frühjahr 2022, „aber ein Mieter sagte mir, er wolle auf seinem Gang nicht ständig an der Wache vorbeilaufen.“ Jetzt ist Yasaroglu nur noch Berater des Mieterrats, sitzt auf einem Sofa und sagt: „Die Menschen fühlen sich sicherer und frei. Ich sehe heute viel mehr ältere Menschen als früher. Unser Problem waren Dealer, sexuelle Belästigung, Gewalt.“

Eine junge Frau in kurzem Rock serviert am Nebentisch Tee. Yasaroglu deutet kurz auf sie und sagt: „Meine Mitarbeiterin kann jetzt in so einem Rock bedienen. Vorher hatte sie sich das nicht getraut. Manchmal musste ich sie sogar zur U-Bahn begleiten.“ Die Polizei, sagt er, habe hier ein positives Image. Und die Leute, die damals so vehement gegen die Wache insgesamt protestiert hätten, die hätten alle gar nicht hier gewohnt. Das hatten, teilweise höhnisch, auch andere Be- und Anwohner des Zentrums Kreuzberg gesagt.

Doch eindimensional, nach dem Motto „Gestern schlecht, heute gut“, ist die Situation am Kottbusser Tor nicht. Widerstand gibt es unverändert, er ist nur nicht so öffentlich sichtbar wie früher. „Seit der Eröffnung der Nebenwache kam es in den dortigen Räumlichkeiten zu Körperverletzungen, Bedrohungen und auch Beleidigungen zum Nachteil der eingesetzten Beamtinnen und Beamten“, teilt die Polizei mit. Andererseits kämen auch Anwohner und Gewerbetreibende, um die Polizei willkommen zu heißen oder sich „einfach nur zu bedanken“. Rund 3300 Bürger hätten bisher Kontakt aufgenommen.

Auch außerhalb der Nebenwache bleibt das Gebiet trotz allem eine Problemzone. Die Dealer und Drogensüchtigen, oft in Personalunion, sind ja nicht weg, sie sind bloß um die Ecke verschwunden. 30 Meter von Güngörs Obststand entfernt, in der Ritterstraße, bietet ein arabischstämmiger Mann mit leerem Blick Stoff an. Und die Süchtigen setzen sich noch immer in Hauseingängen die Spritze, weil die Drogenhilfe-Einrichtung „Fixpunkt“ mit ihrem Drogenkonsumraum spätestens um 18 Uhr schließt. Öffentliche Toiletten fehlen ebenfalls, und die Beleuchtung neuralgischer Ecken ist auch nicht immer gewährleistet.

Kein Wunder also, dass auf der Galerie vor dem Café Kotti eine junge Frau sagt: „Ich wohne in der Nähe, für mich hat sich durch die Wache nichts geändert. Bei mir pinkeln immer noch Leute an den Hauseingang oder setzen sich dort eine Spritze. Man benötigt hier viel mehr als eine Wache.“

Anwohner wollen längere Öffnungszeiten beim „Fixpunkt“

Matthias Coers überrascht so ein Statement nicht. „Viele Mieter haben gehofft, dass mit der Wache die Hausgänge sauberer werden und dort keine Drogensüchtigen mehr auftauchen, aber das hat ja nichts mit der Polizei zu tun.“ Der Filmemacher Coers vertritt im Zentrum-Kreuzberg-Mieterrat die Mieter, auch er sagt, viele Mieter hätten nie was gegen die Wache als solche, sondern gegen den Standort gehabt. Und ohne weitere Maßnahmen wie bessere Beleuchtung oder längere Öffnungszeiten des „Fixpunkts“ sei eine nachhaltige Verbesserung der Situation am Kottbusser Tor nicht zu erwarten.

Natürlich, sagt Coers, habe sich die Situation insgesamt verbessert. Aber ein „Spezialproblem mit der Polizei“ habe er trotzdem. Die Polizei rücke häufig mit Blaulicht und Martinshorn an und führe Menschen, die sie gerade festgenommen habe, über die Freitreppe zur Wache. Vorbei an Touristen und anderen Gästen in den Cafés und Restaurants am Zentrum Kreuzberg, vorbei an Menschen, die sich auf der Galerie vor dem Café Kotti entspannen. „Und dabei sind das oft Menschen, die gar nicht im Bereich Kottbusser Tor festgenommen wurden und nur möglichst schnell zu einer Wache gebracht werden müssen“, sagt Coers. Das ist auch der einzige Punkt, der Yasaroglu in direktem Bezug zur Wache stört.

Viel mulmiger ist Yasaroglu zumute, wenn er an die Zukunft des Platzes denkt. Die Mieten im und ums Zentrum Kreuzberg steigen rasant. Und das neue Sicherheitsgefühl, das er so sehr genießt, das könnte auch andere anlocken, Touristen zum Beispiel. Dann würde die Gegend noch teurer. Der Sozialarbeiter hat ein Bild vor Augen, schön findet er es nicht. „Das Kottbusser Tor“, sagt Yarasoglu, „entwickelt sich in Richtung Hackesche Höfe.“

Von Frank Bachner

Erschienen in der Printausgabe des Tagesspiegels am 15.08.2023 unter dem Titel:
Bilanz zur Kottiwache – Zufriedenheit, aber auch Attacken auf Polizisten
https://epaper.tagesspiegel.de/article/058d0c4a5ad6c8091d7d90818ef00332ec2a0e2deae163377979f25f337db705

Erschienen in der Onlineausgabe des Tagesspiegels am 14.08.2023 unter dem Titel:
Sechs Monate Berliner Kottiwache – Viel Zufriedenheit, aber auch Attacken auf Polizisten
https://www.tagesspiegel.de/berlin/sechs-monate-berliner-kottiwache-viel-zufriedenheit-aber-auch-attacken-auf-polizisten-10306324.html

Categories:

admin

Weitere Beiträge

Bezahlbares Wohnen

Filmabend mit der Kreuzberger Nachbarschaft

Neuer Berliner Häuserkampf

„Wir kaufen uns die Stadt zurück“ In Berlin-Kreuzberg soll ein Symbol des sozialen Wohnungsbaus an eine Investorengruppe verkauft werden. Nun regt sich Widerstand. Ganz oben schwebt man wie über den Problemen. Wer aus dem Fenster in Read more...

Gute Idee?

Der Stadtplatz Kottbusser Tor und die Polizei